Vor Kurzem unterhielt ich mich mit einer guten Freundin, die genau wie ich eine feministische Leseratte ist. Sie sagte: „Melina, ich muss dir unbedingt etwas erzählen, ich habe mich so geärgert.“ Und dann stellten wir beide fest, wir hatten uns unabhängig voneinander über das gleiche Phänomen aufgeregt. Nämlich: Die deutsche Übersetzung bzw. Fassung von feministischen Büchern, deren Autor*innen sie in der Originalausgabe in einer anderen Sprache (meiste Englisch) verfasst haben.
Wir haben uns nämlich darüber geärgert, dass häufig keine gegenderte Sprache verwendet wird und dass viele Begriffe falsch und/oder diskriminierend übersetzt wurden. Beides ist natürlich an sich (leider) keine Seltenheit, aber von einem feministischen Buch erwarten wir beide etwas anderes. Es ist besonders absurd, wenn man aus den Haltungen herausliest, dass die Autor*innen mit Sicherheit gegendert hätten, wenn Deutsch die Sprache gewesen wäre, in der sie Bücher schreiben.
Das generische Maskulinum
Bücher, in denen nicht oder nicht durchgängig gegendert wird bzw. das generische Maskulinum vorkommt, sind zum Beispiel: Dating von Moira Weigel oder die Bücher (Fleischmarkt, Unsagbare Dinge, Bitch Doktrin) von Laurie Penny. In Pennys Buch Unsagbare Dinge steht auf Seite 180 sogar „weibliche Autoren“. Das finde ich noch absurder, als wenn das generische Maskulinum verwendet wird, um alle Geschlechter abzudecken (was es natürlich nicht tut), aber in diesem Fall sind ja wirklich nur Frauen gemeint.
Auf die Spitze treibt es allerdings das Buch Unsichtbare Frauen von Caroline Criado-Perez. In dem Buch über die Gender Data Gap, wird gleich am Anfang von der Autorin erklärt, warum das generische Maskulinum so ein großes Problem ist. Sie erläutert, dass es anders als im Englischen (der Sprache, auf der sie im Original schreibt) Sprachen gibt, in denen jedes Nomen ein Geschlecht hat. Sie nennt verschiedene Sprachen unter anderem Deutsch als Beispiel und zitiert Studien, um zu erläutern, warum das generische Maskulinum schlecht ist. Das Buch allerdings verwendet das generische Maskulinum. Dort finden sich dann auch Sätze wie: „Kaum einer der Schülerinnen und keiner der männlichen Schüler“. Da frage ich mich dann wirklich, ob die Übersetzerin auf Autopiloten schaltete.
Rassitisch vorbelastete Begriffe
Ein anderer Aspekt, der einem auch immer wieder begegnet ist, dass race oder of Color/ colored ins Deutsche übersetzt wird. Das ist aber in der deutschen Sprache vorbelastet und rassistisch. Auch das kommt beispielsweise in Fleischmarkt oder in Wenn Männer mir die Welt erklären vor, um nur zwei Beispiele zu nennen.
Gewalt ist nicht sexuell
Was ich auch gar nicht lesen mag, aber viel zu oft lese (auch noch in deutschen Originalen) ist sexuelle Gewalt, statt sexualisierte Gewalt. So etwa in Boy’s don’t cry von Jack Urwin, Bitch Doktrin oder Wenn Männer mir die Welt erklären von Rebecca Solnit. Die Gewalt hat aber nichts mit Sex zu tun und deshalb ist „sexuell“ irreführend.
Geschlechtsidentitäten richtig bezeichnen
Auch wenn es um die Geschlechtsidentität geht, läuft leider noch viel schief. In Boys don‘t cry wird sex einfach als Geschlecht und gender als Gender übersetzt, ohne weiter zu erklären, dass es im Englischen zwei Begriffe gibt und im Deutschen nur einen. Es wird etwas vorausgesetzt, was in der deutschen Sprache aber nicht intuitives Wissen ist, wie im Englischen. In dem Zusammenhang wird beispielsweise auch „ein Transgender“ geschrieben. In Laurie Pennys Fleischmarkt findet sich zudem beispielsweise die Worte „transsexuelle Frauen“, „Transfrau“ und Cis-Frauen“.
Eine gute Erläuterung zum richtigen Sprachgebrauch liefert Linus Giese in seinem Buch Ich bin Linus – Wie ich der Mann wurde, der ich schon immer war. Dort schreibt er: „Trans ist kein Nomen, sondern ein Adjektiv. Es gibt – außer am Satzanfang – keinen Grund, dieses Wort groß zu schreiben. […] Niemand käme auf die Idee von einem Supervortrag, einem Lilahemd oder einer Orangenkatze zu sprechen – aus genau des denselben Gründen heißt es auch nicht Transfrau oder Transmann, sondern trans Frau, trans Mann, trans Mensch oder trans Person. […] Wer von Transmännern oder Trans-Männern spricht, reduziert diese Männer sprachlich darauf, dass sie trans sind.“ Gleiches gilt übrigens für cis Personen, auch da schreibt man nicht Cis-Person.
Zudem erklärt Giese weiter, dass „transsexuell“ ein Begriff ist, der mittlerweile veraltet ist und nur noch als Selbstbezeichnung, nicht aber als Fremdbezeichnung verwendet werden sollte, da er zur Verwirrung führt, weil der Eindruck entsteht, dass er etwas mit der Sexualität zu tun hat, was aber falsch ist.
In Bitch Doktrin gibt es einen Text, wo Laurie Penny erklärt, wie sie/they sich als genderqueere Frau versteht. Die Übersetzung zu der Passage lautet: „Mein bevorzugtes Pronomen ist „sie“, in der dritten Person Singular oder Plural. Im englischen Original steht: My preferred pronouns are „she“ or „they.“ Dass es nach wie vor keine ebenso gute und bekannte Möglichkeit für geschlechtsneutrale Pronomen in der deutschen Sprache gibt, ist bekannt. Ich erinnere mich an andere Text, wo dies auch erklärt wird. Die deutsche Übersetzung ist einfach schwachsinnig und absolut verwirrend, vor allem für Menschen, die von they/them-Pronomen noch nie etwas gehört haben. Das hätte an dieser Stelle erklärt werden müssen.
Bewusstsein schaffen
Es geht mir mit diesem Text gar nicht darum, mich als Besserwisserin aufzuspielen, denn das bin ich nicht. Auch ich wusste vieles lange nicht besser. Wer aufmerksam meine Texte liest, wird zum Beispiel feststellen, dass ich auch lange den Fehler gemacht habe cis und trans groß zu schreiben. Auch heute mache ich mit Sicherheit noch Fehler.
Ich kann auch gut nachvollziehen, dass Übersetzer*innen, die ein Buch übersetzen, sich mit dem Inhalt nicht auskennen. Sie können sich schlicht nicht mit allen Themen auskennen. Trotzdem finde ich, dass es an irgendeiner Stelle im Entstehungsprozess ein Bewusstsein dafür geben sollte, dass gerade bei diesen Themen (eigentlich natürlich bei allen) diskriminierungssensible Sprache wichtig ist. Durch wie viele Hände geht so ein Buch, bevor es gedruckt ist? Das fällt niemandem vorher auf? Das finde ich schwer vorstellbar. Von einem Verlag, gerade einem, der hauptsächlich oder viele solche feministischen, politischen Bücher herausbringt, erwarte ich mehr. Das seid ihr den Autor*innen schuldig, denn im Zweifel wirft es auch ein schlechtes Licht auf sie. Ihr seid es aber auch euren Leser*innen schuldig und vor allem auch denjenigen Menschen schuldig, die durch diese Reproduktion von diskriminierender Sprache weiter diskriminiert werden. 1. Diese Menschen lesen eure Bücher auch. Und 2. tragt ihr dazu bei, dass diese Sprache weiter (von anderen, die eure Bücher lesen) benutzt wird.
Ich ziehe in Erwägung, in Zukunft, wo möglich, die Bücher nur noch im englischen Original zu lesen, aber nicht jeder Mensch hat diese Möglichkeit und nicht alle Bücher sind auf Englisch verfasst. Deshalb ist das sicherlich nicht wirklich eine Lösung.
Lösung: Sensitivity-Reading
Mein Vorschlag: Es gibt das sogenannte Sensitivity-Reading, bei dem Personen Texte auf „schädliche oder missverständliche Darstellungen und Mikroaggressionen“ prüfen. Sensitivity Reader sind selbst Personen aus der jeweils marginalisierten Gruppe und kenne sich mit dem Diskurs um das Thema aus. Eigentlich sind sie schon für den*die Autor*in da, aber ich fände genau das auch für die Zusammenarbeit mit Übersetzer*innen wichtig.
Vermutlich sollte ich mich mit meiner Kritik direkt an die entsprechenden Verlage richten. Sobald ich die Zeit dafür finde, mache ich das auch, aber das kostet natürlich auch viel Zeit.
Mit gutem Beispiel voran
Um nochmal zu betonen, dass es auch anders geht, möchte ich das Buch Sei kein Mann – Warum Männlichkeit ein Alptraum für Jungen ist von JJ Bola nennen. Auch dieses Buch ist im Original auf Englisch. Im Deutschen ist es bei hanserblau erschienen und wurde von dem Journalisten und Moderator Malcolm Ohanwe übersetzt. In diesem Buch wird gegendert und beispielsweise der Begriff race verwendet mit einer entsprechenden editorischen Notiz am Ende, warum das so ist. Es geht also auch anders.
Um mit etwas Lustigem zu enden: In Boys don‘t cry wird der bekannte Ausspruch „work hard, play hard“, mit „feste arbeiten, feste feiern“ übersetzt. Ich habe selten so gelacht. Das ergibt absolut keinen Sinn. „Hart arbeiten, hart feiern“ wäre eine passendere Übersetzung gewesen, auch wenn sie nicht so catchy klingt, wie das englische Original.