Was ist Bi+ Erasure*?

*in Deutsch oft Konzept der Unsichtbarmachung von Bi+sexualität genannt.

The Epistemic Contract of Bisexual Erasure – Kenji Yoshino

Im Jahr 2000 veröffentlichte der Professor Kenji Yoshino der New York University „The Epistemic Contract of Bisexual Erasure“, einen der wichtigsten und bahnbrechendsten Texte der bisxuellen Theorie, der lange sowohl von der Wissenschaft als auch von der bisexuellen Bewegung übersehen wurde. Dass der Text seit so vielen Jahren so häufig übersehen wurde, ist gelinde gesagt merkwürdig und könnte durch die im Text selbst vorgestellte Theorie erklärt werden.

Die Unsichtbarkeit von Bi+sexualität ist keine natürliche Eigenschaft und der Bi+sexualität innewohnend, sondern das Ergebnis einer aktiven sozialen und kulturellen Konstruktion, die sowohl von heterosexuellen als auch von schwulen und lesbischen Diskursen durchgeführt und aufrechterhalten wird. Kenji Yoshino: „Ich definiere Bi Erasure als das weit verbreitete soziale Phänomen des Unsichtbarmachens von Bisexualität aus jeder Diskussion, in der sie relevant ist oder auf andere Weise beteiligt ist.“

Wie äußert sich Bi+ Erasure?

Bi+ Erasure (Unsichtbarmachung von Bi+sexualität) bedeutet unter anderem mangelnde Repräsentation, mangelnde Gemeinschaft, mangelndes Bewusstsein fürs Thema, mangelnde Sprache und mangelnde Anerkennung. Dies bedeutet, dass der größte Teil unserer Kultur die meiste Zeit unter der Annahme steht und agiert, dass es Bi+sexualität nicht gibt und nicht geben kann.

Bi+ Erasure auf kultureller und öffentlicher Ebene

Laut der Studie „Unseen on Screen“ der britischen Organisation Stonewall, waren von fast 127 Stunden des untersuchten britischen Fernsehens nur fünf Minuten und neun Sekunden der Darstellung bi+sexueller Charaktere gewidmet. (Zum Vergleich: Vier Stunden und 24 Minuten wurden schwulen Männern gewidmet, 42 Minuten lesbischen Frauen, trans Personen wurden in dieser Studie nicht untersucht.) In einer US-amerikanischen Studie stellte der prominente Forscher Gregory Herek fest, dass für heterosexuelle Zuschauer*innen – mit Ausnahme von intravenösen Drogenkonsument*innen – Bi+sexuelle die am wenigsten gemochten Filmfiguren sind, ein Faktor, der die Film- und Fernsehbranche durchaus beeinflussen kann. Selbst wenn es historische, bekannte und andere Persönlichkeiten gibt, die als bi+sexuell bekannt sind, werden sie im Allgemeinen entweder als heterosexuell oder schwul / lesbisch bezeichnet (zum Beispiel Freddie Mercury, Virginia Woolf oder Lady Gaga).

Bi+ Erasure auf sozialer Ebene

In der sozialen / gemeinschaftlichen Ebene wird allgemein angenommen, dass Bi+sexuelle entweder heterosexuell oder homosexuell sind und bi+sexuelle Probleme und Menschen bleiben unerwähnt. Bi+sexuelle stehen unter dem Druck, ihre Identität in etwas anderes als bi+sexuell (normalerweise schwul, lesbisch oder heterosexuell) zu ändern und erleben soziale Isolation sowohl in heterosexuellen als auch in lesbischen und schwulen Gemeinschaften.

Bi+ Erasure auf privater Ebene

Im privaten Bereich gehen die Familien und Freund*innen von Bi+sexuellen, wenn sie sich als bi+sexuell outen, oft davon aus, dass sie eigentlich heterosexuell sind (oder dass sie je nach Situation in Wirklichkeit schwul oder lesbisch sind) und setzen sie weiterhin unter Druck, sich für Heterosexualität zu „entscheiden“.

Drei Arten von Bi+ Erasure

  • Bi+sexualität als Kategorie bzw. sexuelle Orientierung wird geleugnet.
  • Bi+sexualität als Kategorie wird nicht geleugnet, aber die Bi+sexualität einer betreffenden Person wird nicht geglaubt bzw. in Frage gestellt.
  • Delegitimierung der Orientierung, bei der Bi+seualität und bi+sexuelle Menschen eine negative Bedeutung zugeschrieben wird.

Quellen:

Eisner, Shiri (2013). Bi: Notes for a Bisexual Revolution. Seal Press.

Yoshino, Kenji (2000). The Epistemic Contract of Bisexual Erasure. Stanford Law Review, 52(2), 353. https://doi.org/10.2307/1229482

Queer Lexikon: www.queer-lexikon.net

Stonewall (2011). Unseen on Screen.

Herek, G. M. (2002). Heterosexuals’ attitudes toward bisexual men and women in the United States. The Journal of Sex Research, 39(4), 264–274. https://doi.org/10.1080/00224490209552150